Wie kann man 2020 noch eine Fachzeitschrift nur für Männer machen?

Disclaimer: Dies ist ein sehr langer Post. Schlimmer noch: es ist ein purer Rant. Dabei geht es mir nicht um genannte Einzelpersonen, sondern um die Situation im Ganzen. Die Situation, dass manche Branchenmagazine tatsächlich nur Männer als Zielgruppe zu haben scheinen. Oder haben wollen. In einer Branche, in der Frauen genau so aktiv und erfolgreich sind wie Männer.

Anlass für diesen Rant ist ein neues Heft von Meedia, das erstmals in gedruckter Form im April 2020 erschien. Meedia ist ein Branchenmedium von Medienleuten für Medienleute, das seit 2008 online erscheint. Jetzt eben auch gedruckt. Mutig in diesen Zeiten, ambitioniert das Ziel einer wöchentlich erscheinenden Fachzeitschrift. Wer hat denn jede Woche Zeit für 80 Seiten? 

Aber meine Frage ist eine ganz andere: Wie kann man heute, 2020, eine Fachzeitschrift nur für und über Männer machen? Fällt das niemandem dort auf? Ist Christa Müller, die Chefredakteurin neben Matthias Oden, nur die hübsche Quotenfrau auf Seite 1 des Innenteils?

Cover der ersten Ausgabe der Zeitschrift Meedia.

Eigentlich fängt ja alles ganz gut an. Im Editorial tauchen Chefredakteur und stellvertretende Chefredakteurin mit Bild gemeinsam auf. Dass das dann aber schon das letzte Zeichen von Gleichstellung sein sollte, ist traurig. Den Leitartikel ein paar Seiten später, schreibt der Chefredakteur allein. Schade auch: eine gendersensible Sprache ist nicht drin, es ist nur von Machern, Managern, Praktikern und Theoretikern die Rede. Alles andere wäre ja auch zu anstrengend. Nachhilfe gibt es hier von genderleicht.

Die Leistungen der Frauen werden niedrig bewertet

Blättert man durchs Heft, fällt ziemlich schnell auf: Frauen werden hier nur ungern im Bild gezeigt, ihre Leistungen werden auffällig niedrig bewertet. Ein paar Beispiele:

Frau auf dem Titel? Nein danke

Es werden die ent- und wieder verworfenen Titelblätter gezeigt. Sechs Stück insgesamt. Nur in einem kam mal der Gedanke auf, wie wohl eine Frau auf dem Cover wäre? Zu früh gefreut. Das ist keine Frau aus dem Business, das ist ein Stockfoto. Die Idee wurde auch so blitzschnell wieder verworfen, dass es nicht mal dazu gereicht hat, mehr als Lorem Ipsum zu verwenden und “Das ist eine schöne Überschrift” als Platzhaltertext reinzuschreiben. 

Frau und Familie, Mann und Business?

Seite 12, Collien Ulmen-Fernandes mit Bild. Zusammenhang: Familien allein zu Haus. Ulmen-Fernandes beleuchtet für ZDFneo “wie Familien mit dem Corona-Lockdown, geschlossenen Schulen, Kitas und dem neuen Alltag klarkommen.” Eine einspaltige Programmankündigung.

In den zwei Spalten daneben wird referiert, wie Ex-Spiegel-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer eine globale Kommunikationsstrategie entwickelt. Unter Brinkbäumers Bild der Hinweis – damit man es auch ja nicht vergisst: “Klaus Brinkbäumer, 53, tätig als Zeit-Autor, Tagesspiegel-Kolumnist und Berater bei der Looping Group.” 

Collien Ulmen-Fernandes ist übrigens Schauspielerin, Autorin und Model, viele kennen sie noch als Moderatorin bei VIVA, mehrfach Woman of the Year (Maxim), mehrfache Grimme-Preis-Nominierung, und und und. Just saying. 

„Die taz lebt vor, was von vielen schon lang gefordert wird: Gleichberechtigung”

Seite 16

Dann, ein Funke Hoffnung: In der Kategorie “Das perfekte Doppel/Macher(innen) der Woche und Lacher der Woche”: Zwei Frauen! In einer Spalte, in sieben Zeilen und mit zwei Bildern wird darauf hingewiesen, dass ab August Ulrike Winkelmann und Barbara Junge bei der Taz die Doppelspitze übernehmen. “Die taz lebt vor, was von vielen schon lang gefordert wird: Gleichberechtigung” Ich bin also eine von vielen, schön! Freut mich! 

Der Mann erklärt die Welt. Die Frau arbeitet

Im Teil “Marken” geht es um Menschen, die zu Marken geworden sind oder Marken, die menschlich geworden sind. Erstes Thema: Influencermarketing. Repräsentiert wird das Thema durch Bilder von Frauen, die sich oder ein Stück Essen fotografieren.

Der Einstieg der Geschichte wird über Anne Höweler erzählt. Wir erfahren, 

  • dass Anne Höweler Markenverantwortliche bei der Auswahl von passenden Influencern berät
  • dass sie seit 2007 in der Blogosphäre unterwegs ist
  • dass sie fünf Jahre später, man rechne bitte selbst, ihre eigene Influencer-Agentur Cover Communications in München gegründet hat
  • dass sie auf Datenbanken zurückgreift und 
  • dass man nicht pauschal sagen könne, ob der ausgewählte Influencer wirklich zur Marke passe. 

Der erste Absatz des interessanten Artikels gehört also ganz allein ihr. Ein Bild: Fehlanzeige. 

Gegen Mitte, Ende des Artikels, schaltet sich Felix Hummel ein. Er erklärt: 

  • Vorauswahl der Influencer per Algorithmus – keine gute Idee. 
  • Wir erfahren: er ist 33, trägt einen “hippen” Rauschebart, schulterlanges Haar, Tätowierungen. 
  • Er “spricht schnell und formuliert seine Gedanken klar”. 
  • Und darüber hinaus “kennt er die Branche ausgezeichnet”. 
  • Wir erfahren, dass er im Januar 2016 zusammen mit Mann X und Mann Y ein “Unternehmen zur Automatisierung von Influencer Marketing” gegründet hat. 
  • Und dann erfahren wir noch, was er noch alles gegründet hat und mit wem er zusammenarbeitet
  • und er macht uns auf Grundsatzprobleme aufmerksam. 
  • Und zu KI hat er was zu sagen, 
  • und gibt Einschätzungen über die Aussagekraft der Daten. 
  • Und: auf der nächsten Seite gibt es sogar ein Bildchen des Herrn mit Rauschebart und langen Haaren, plus Text: “Jung und umtriebig. Felix Hummel (33), ist IT-Unternehmer, Autor und selbst Influencer – weshalb er die Branche bestens kennt”.  

Dass Anne Höweler nicht nur Gründerin ist, sondern auch Diplom-Ingenieurin, eine der ersten und heute erfolgreichsten Personen im Influencer Business ist, und dass ihr Netzwerk (nach eigener Aussage) mittlerweile zu einem der stärksten der deutschen und Marketinglandschaft gehört? Kein Wort davon. 

Ihr seid kollektiv sichtbar, keine Sorge

Auf Seite 23 kommt ein Mann zu Wort, Frank Dopheide. In einem pointierten Stück erklärt er, dass die Wirtschaftsmanager Deutschlands unsichtbar sind, gerade in Zeiten von Krisen wie Corona. Falls es euch tröstet: so unsichtbar seid ihr nicht, ihr seid kollektiv mehr als sichtbar.

Aber im Kern hat der Mann natürlich recht, kaum einer kennt das Gesicht vom BASF-Chef, und vom Chef von Henkel und vom Chef von Fresenius und vom Chef von SAP. Alles Männer übrigens, die es an die Spitze geschafft haben, aber das ist ein anderes Thema, hier geht es um die gleichberechtigte Repräsentation beider Geschlechter. Eh. Ja. 

Miserable Quote für die Frauen

Um das Thema Corona kommt auch Meedia nicht drum rum, sie kümmern sich um die “Welt nach Covid-19”, vorausschauend, so muss das sein. Auf den folgenden Seiten fragt Meedia 40 “führende Köpfe der Branche” nach deren Einschätzung. Und das ist der Punkt in der Zeitschrift, an dem ich langsam aber sicher die Geduld verliere. Denn die Quote ist miserabel für die Repräsentation des weiblichen Geschlechts, nur ein Viertel der Befragten sind Frauen. Woran liegt das? Ich weiß es nicht.

Was ich weiß ist, dass ich nicht die Einzige bin, die sich an dieser mangelnden Diversität stört. Denn dann kommt Berit und die 58. Lehrredaktion der Deutschen Journalistenschule zu Wort in der Rubrik “Ok, Boomer”. Gewünscht hätte ich mir: natürlich, ein Bild der Autorin! Berit Dießelkämper schreibt in ihrem Stück über die mangelnde Diversität in Redaktionen. Ob sie wusste, für was für ein Heft sie schreibt? Wer Berits Text als junges, aufmüpfiges Verhalten belächelt, sollte nochmal genauer durchs Heft blättern. Wer dann immer noch nicht versteht, was Berit meint, ist in meinen Augen nicht besser als ein Facebooktroll oder Verschwörungstheoretiker, der wider jeden Beweis das Gegenteil behauptet. Nein, ich habe hier nicht das Gendern vergessen, denn dieser Text richtet sich an euch.

Der Mix macht es doch

Liebe Meedia-Macher: das geht besser mit der Diversität, oder? Ich bin als weiße, hetero, 30-jährige Journalistin mit Masterabschluss so privilegiert wie es nur geht. Und dann führt ihr mir so richtig deutlich vor Augen: so ganz gehört ihr Frauen aber doch noch nicht dazu. Die Art, wie die Inhalte und Interviewpartner ausgewählt werden, die Selbstverständlichkeit, mit der Männer Männer interviewen, es ist frustrierend. Es scheint so selbstverständlich, dass Kompetenz an den Mann gekoppelt ist. Liebe Christa Müller: stehen Sie bitte für uns Frauen ein. Denn wir brauchen nicht noch ein Frauenmagazin, nicht noch einen Frauen-Business-Podcast, nicht noch eine exklusive Frauen-Community. Diese Netzwerke sind wichtig. Aber diese Trennung bringt uns nur bedingt weiter. Erst wenn sich Männer an Frauen und – gleichermaßen – Frauen an Männern orientieren (können), sind wir doch da, wo wir sein sollten.

Yours truly pissed,

Lisa-Martina Klein